Presseaussendung · 09.07.2012 Lückenlose Aufarbeitung
LR Schmid: Den Blick für die Gegenwart schärfen

Veröffentlichung
Montag, 09.07.2012, 15:52 Uhr
Themen
Soziales/Jugendwohlfahrt/Schmid
Redaktion
Gerhard Wirth

Innsbruck (VLK) – Der erste Teil des Forschungsberichts zur Geschichte der Tiroler und Vorarlberger Erziehungsheime wurde am Montag, 9. Juli 2012, in Innsbruck vorgestellt. "Dass Jugendliche und Kinder seelische, physische und sexuelle Gewalt erleiden mussten, ist traurig und beschämend", sagte Soziallandesrätin Greti Schmid. Geschehenes könne nicht ungeschehen gemacht werden, umso wichtiger sei es, dass dieses sensible Thema lückenlos aufgearbeitet wird. "Ich kann an dieser Stelle nur nochmals um Verzeihung bitten, für das was Kinder und Jugendliche erleiden mussten", so Schmid.

Von Beginn an war klar, dass es parallel zu den Maßnahmen der Opferschutzstelle eine geschichtliche Aufarbeitung der Fürsorgeerziehung geben muss. Da ein beträchtlicher Teil der betroffenen Vorarlberger Kinder und Jugendlichen (darunter alle Mädchen) in Tiroler Heime eingewiesen wurde, andererseits aber zahlreiche Tiroler in der Erziehungsanstalt Jagdberg in Vorarlberg untergebracht waren, haben die Länder Tirol und Vorarlberg beschlossen, diese Aufgabe gemeinsam anzugehen. Im September 2011 wurde die Erziehungswissenschaftlerin Michaela Ralser von der Universität Innsbruck beauftragt, die Möglichkeiten zur Erforschung der Materie zu prüfen. Der Untersuchungszeitraum wurde auf 1945 bis 1990 festgelegt – also eine Zeitspanne, in dem die Länder für die Verhältnisse in der Heimerziehung unmittelbar Verantwortung tragen.

In den Jahren bis 1980 wurden "schwierige" Kinder und Jugendliche aus Vorarlberg auch in Tiroler Einrichtungen eingewiesen. Das ehemalige Landesjugendheim Jagdberg war längere Zeit die einzige Institution in Vorarlberg für Buben bis zum 14. Lebensjahr. Aber auch für Kinder/Jugendliche in Institutionen jenseits der Landesgrenze besteht eine Verantwortung der zuweisenden Stellen und damit des Landes. Dieser Aspekt soll in der historischen Aufarbeitung explizit berücksichtigt werden.

Die von Prof. Michaela Ralser, Anneliese Bechter und Flavia Guerrini erstellte Vorstudie "Geschichte der Tiroler und Vorarlberger Erziehungsheime und Fürsorgeerziehungsregime der 2. Republik" zitiert die zahlreichen Heimakten und liefert eine Reihe wesentlicher Erkenntnisse. Sie ist insbesondere in Hinblick auf das länderübergreifende System der Heimerziehung im westlichen Österreich eine tragfähige Grundlage für künftige Forschungen.

"In weiteren Berichten soll den Opfern eine Stimme gegeben werden", so Landesrätin Schmid. Das Land Vorarlberg übernehme die Verantwortung für das Geschehene und wolle neben den Entschädigungszahlungen an die Opfer von Gewalt in Landeseinrichtungen einen Beitrag zur Prävention leisten. "Dazu braucht es eine lückenlose Aufarbeitung der Geschehnisse", betonte Schmid.

Die Vorschläge für Forschungsprojekte, die mit der Studie angeregt werden, basieren auf vier Kriterien: zu erwartender höchster Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Erklärung von Gewalt in Erziehungseinrichtungen, Verfügbarkeit und Zustand schriftlicher Quellen, Zahl der Meldungen bei den Opferschutzstellen und Streuung der Verantwortungsträger. Die Vorschläge umfassen eine Gesamtstudie und vier Einzelstudien, welche jeweils einzelne Einrichtungen betreffen. Alle setzen auf Grundlagenforschung und sehen Vermittlungsformate vor (Wanderausstellung, Publikation mit Lesereise, Geschichtswerkstätten etc.)
- Eine umfassende Studie zur Bedingung und Wirkung des Fürsorgeerziehungswesens in Tirol und Vorarlberg.
- Eine wissenschaftliche Befassung mit der Erziehungsanstalt "Jagdberg". 
-  Aufgrund der zahlreichen Meldungen über Gewaltpraktiken an der von Maria Nowak-Vogl geleitetenpsychiatrischen Beobachtungsstation und des nahezu vollständigen Bestands von 3.655 Kinderkrankenakten erscheint eine eingehende wissenschaftliche Befassung geboten.
- St. Martin in Schwaz wird deshalb für ein eingehenderes Forschungsprojekt vorgeschlagen, weil es lange Zeit das einzige Landeserziehungsheim für schulentlassene Mädchen in Westösterreich war.
- Die Bubenburg in Fügen, Zillertal, kann stellvertretend für ein konfessionelles Heim untersucht werden. Als größtes über viele Jahrzehnte hinweg (bis heute in verkleinerter und veränderter Form) existierendes konfessionelles Knabenheim kommt der Bubenburg mehrfach strategische Bedeutung für die Heimerziehung Westösterreichs - einschließlich Salzburg zu.

Bis Herbst soll eine gemeinsame Vorgangsweise von Vorarlberg und Tirol in enger Kooperation mit den zuständigen Referenten erarbeitet werden. Eine Grundlage für diese Entscheidung ist durch diese Vorstudie gegeben. Landesrätin Schmid: "Wesentlich ist, dass erforscht wird, wie es zu dieser Gewaltdynamik kommen konnte. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung soll den Blick für die Gegenwart schärfen. So etwas darf nie mehr passieren."

Faktbox.
Aktueller Stand Opferschutzkommission:
- 172 Personen erstatteten Meldung bei der Opferschutzkommission
- an 108 Personen wurden 1.076.000 Euro an Unterstützungen ausbezahlt
- an 25 Personen wurden 27.761,70 Euro an Unterstützung für Therapie ausbezahlt
- Vereinbarte Phasen der Aufarbeitung wurden mit Tirol vereinbart
- Abklärung der Quellen- Forschungs- und Rechtslage
- Evaluation bis Herbst
- Durchführung von Forschungsarbeiten

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